Kunsthistoriker Dr. Harald Tesan schreibt:
Vor rund zehn Jahren begegnete ich dem Werk von Clemens Heinl. Auf der Kunstmesse art 6 machte der Torso eines stehenden männlichen Aktes im Kolossalformat auf einen ambitionierten Studenten der Nürnberger Akademie aufmerksam. Schwarzblech, aus dem sonst Autokarosserien gefertigt werden, war prall bis zum Äußersten getrieben, Schweißnähte und nagende Korrosion signalisierten zugleich Verletzbarkeit. Tatsächlich sollte eine über vier Meter hohe Eichenholzstatue, die dieser schwellenden Metallhülse ihre Form verliehen hatte, wenig später einem nächtlichen Anschlag zum Opfer fallen. Unbekannte brachten den vom Künstler Zwei Tonnen Angst getauften Atlanten kurzerhand um das hervorragende Teil seiner Männlichkeit. Eine blindwütige Zerstörungstat bliebe leicht krachlederne Provinzposse, die rituelle Kastration des Artefakts allenfalls tauglich, erneut den romantischen Mythos des 20. Jahrhunderts vom Künstler als Märtyrer zu bestätigen, wäre damit nicht viel gesagt über die Wahrnehmung von Plastik im öffentlichen Raum und - damit verbunden - das weiterhin berechtigte Anliegen eines figurativ arbeitenden Bildhauers.
Die Methode, Metall über einem volumengebenden Holzkern zu spannen, fasziniert
den Künstler bis heute. Im Jahr 1989 hatte er sie an Michael erprobt,
einem ebenso grazilen wie kraftvoll dynamischen Akt in Kupferblech, der durch
das Modell eines russischen Balletttänzers angeregt worden war. Der Torso, ein
bevorzugtes Thema der Akademiezeit, ist im späteren Werk zurückgetreten. Schon
die frühvollendeten Aktdarstellungen stehender Frauen boten unversehrte, bewusst
jedoch keine makellosen Körper zur Schau. Schwundrisse im Holz and faserig
stehengelassene Bearbeitungsspuren schienen auf latente Widersprüche zwischen
einer allpräsenten Werbeästhetik and unserer eigenen, nackten Existenz
aufmerksam machen zu wollen. Immer leicht überlebensgroß and von in sich
ruhender Tektonik, suchten diese Figurinen hieratische Ausdruckskraft mit einem
sehr zeitgemäßen Blick auf menschliche Befindlichkeiten zu vereinen.
In den neunziger Jahren entstand eine umfangreiche Serie charakteristischer
Holzköpfe. Es sind Porträts von Menschen des nächsten Umfelds, die Heinl mit
sicheren Axthieben aus dem frischen Stamm schlug and beinah hastig mit
Dispersionsfarbe beizte. Hatte er
die Farbe zuvor eher lasierend und insbesondere an den Akten zur Betonung
einzelner Partien wie Haare, Mund oder Augen eingesetzt, kam sie anschließend an
den vermehrt auftretenden Gewandfiguren in einer markanten Buntfassung zum
Tragen. Wichtig wurde nun die subjektive Beobachtung vermeintlich vertrauter
Alltagsbegebenheiten. Bei Paar am Kaffeetisch (1995), den Reliefs
Warten auf bessere Zeiten (1994) oder Badende (1996) blitzt in der
lustvollen Schilderung genrehafter Individuen ironische Brechung des Klischees
auf. Daneben reizt Heinl immer wieder die monumentale Holzskulptur, etwa in der
wuchtig sinnlichen Liegefigur Collette (1997) oder dem lebensnahen
Statuenpaar Adam und Eva (1998). Wohltuend ist, dass gerade seine ganz
großen Figuren etwas anrührend Menschliches bewahren, ohne jemals sentimental zu
wirken. Die schwierige Gratwanderung zu meistern, gehört zu Heinls
ausgesprochenen Stärken.
Umgekehrt belegen Skulpturen im Statuettenformat, wie feinfühlig and präzis
Heinl mit der Kettensage umzugehen vermag. Mit diesem Werkzeug zeichnet er
vielleicht am besten. Seinen Skulpturen verleiht es jene rissige Schärfe, durch
die plastische Volumina umso festere Konturen annehmen. Im Holz hinterlässt es
einen ornamentalen, zur Verräumlichung drängenden Duktus and man glaubt dem
Bildhauer, wenn er sich außer auf die griechische Frühklassik gern auf das
Vorbild der keltischen Kunst beruft. Angesichts immanenter, strukturbestimmender
Faktoren offenbart sich ein eigenständiges künstlerisches Temperament. Rauh und
expressiv, ja fast sperrig, verhalten sich die Holzfiguren des Schwabachers
gegenüber den schlicht seienden, auch durch ihre Faktur sachliche Distanz
wahrenden Stephan Balkenhols. Ähnlich differenziert ist der Anteil der
Polychromie zu werten: während die Farbe beim zwei Jahre älteren Kollegen fast
ausschließlich mimetisch besetzt ist, kommt ihr bei Heinl mehr
bedeutungssteigernde Funktion zu. Das Pigment ist an Heinls Skulptur
unverzichtbare Trägersubstanz einer sich spontan gebärdenden, vitalistischen
Grundhaltung.
Es ist bezeichnend für Heinls Auffassung, dass bei seinen bildhauerischen
Environments die Inszenierung der extrahumanen Natur bevorzugten Stellenwert
gewinnt. In der Empfangshalle einer großen Firma gestaltete er 1992
Treppengeländer, Säulenverkleidungen and Beleuchtungskörper unter Verwendung
von Metallblech and bunten Gläsern in vegetabilen Formen. Er weckte damit
Assoziationen eines Fin de Siecle, ohne Jugendstilformen wörtlich zitieren zu
müssen. Große Innenraume besiedelte er oftmals mit lebensgroßen Tierplastiken,
so 1996 das Nürnberger Kunsthaus mit einer wilden Horde losgelassener Gorillas.
In Hitchcockscher Manier ergriffen Schwärme hölzerner Krähen Besitz von der
Rother Kulturfabrik and versetzten die ehemalige Industriehalle durch das
filigrane Spiel hunderter schlagender Vogelflügel erneut in atmosphärische
Vibration. Jüngst hat er seinen Phantasien zum Gesamtkunstwerk in einem
Marktplatz - dominierenden Fabelwesen freien Lauf gelassen, das sich aus
stereometrischen Klangkörpern zusammensetzte. Halb Stegosaurier, halb riesiges
Chamäleon, war es eingebunden in ein barockes Feuerwerksspektakel, während es
von Jazzpercussionisten bespielt wurde.
Überblickt man das vielseitige Schaffen dieses innovativen Bildhauers, in dem
Kunstaktionen mit Kindern, die Anlage eines Naturspielplatzes aus menhirartigen
Kalksteinquadern oder neue Wege im Umgang mit Funeralskulptur ihren Platz
haben, darf man in Zukunft noch auf viel Überraschendes gespannt sein.
Dr. Harald Tesan, Kunsthistoriker